Deutschland hat eine neue Partei: Am 1. März 2020 wurde in Dortmund die DOS – Digital, Oekologisch, Sozial gegründet

v.l.n.r. Lisa DeZanet, Torsten Sommer, Magdalena Zenglein, Dirk Pullem, Nadja Reigl, David Grade, Maja Tiegs, Britta Söntgerath, Andrea Wille. Fotos: Claus Stille

Seit dem 1. März 2020 hat unser Land eine neue Partei. Im Biercafé West wurde die „DOS – Digital, Oekologisch, Sozial“ gegründet. Wie die gewählte Vorsitzende Nadja Reigl sagte, verortet sich die Partei links der Mitte. Die DOS hat sich „Axiome“ verordnet, grundlegende politische Konstanten, die für alle Mitglieder verpflichtend sind und nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Es waren am Sonntag 17 Gründungsmitglieder anwesend. Die DOS wird zur diesjährigen Kommunalwahl antreten.

Nötig, eine Politik zu betreiben, die ihre Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen ernst nimmt

Die Notwendigkeit zur Gründung einer neuen Partei begründen die Initiator*innen so: „Es wird Zeit eine Politik zu betreiben, die die Zukunft aktiv gestaltet. Eine Politik, die ihre Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen ernst nimmt, die Chancen von Veränderungen nutzt und sich aktiv mit den Herausforderungen und Problemen der Zukunft auseinandersetzt. Der Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung und eine zukunftsfähige demokratische Gesellschaft sind keine einfachen, aber lösbare Herausforderungen! Dafür müssen wir jetzt und mit vereinten Kräften handeln.“

Erfahrene und aktive Politiker*innen unter den DOS-Gründer*innen

Unter den Gründer*innen der DOS-Partei befinden sich erfahrene aktive Politiker*innen aus dem Ruhrgebiet, wie Torsten Sommer, ehemaliger Abgeordneter der Piraten im Landtag NRW, Nadja Reigl, Ratsfrau der Stadt Dortmund und Britta Söntgerath, Ratsfrau in Duisburg.

Torsten Sommer: „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als Versicherung für die Wählenden, dass der angestrebte Wandel wirklich umgesetzt wird“

Aus den vorweg genannten Gründen eine neue Partei auf den Weg bringen zu wollen, ergebe sich für die – DOS, dass sie konstruktiv mit den Parteien des weltoffenen Spektrums zusammenzuarbeiten gedenke. Torsten Sommer: „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als Versicherung für die Wählenden, dass der angestrebte Wandel wirklich umgesetzt wird. Wir wollen nicht länger das kleinere Übel wählen, sondern selbst gestalten!“

Unverrückbare Axiome sind für jedes Mitglied mit dem Eintritt in die Partei verpflichtend

Jedes Mitglied der DOS muss sich an unverrückbar festgelegte, nicht verhandelbare Axiome halten. Weicht jemand davon ab, müsse Partei verlassen werden, hieß es auf der Gründungsversammlung im Dortmund BierCafé West unmissverständlich. Wer in die Partei eintritt verpflichtet sich auf zu diesen Axiomen

Axiome der DOS in Kürze

Die Axiome umfassen die „Menschenrechte“ und die UN-Behindertenkonvention – sie gelten ohne Ausnahme.

Des Weiteren gilt die „Gleichberechtigung aller Menschen“, die „Ablehnung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“.

„Wir werden keinen Faschismus/Nationalsozialismus dulden“. Ein diktatorisches Staatssystem zu etablieren wird eine Absage erteilt.

Angestrebt wird eine „Solidarische Gesellschaft“.

Die Beisitzer*innen v.l.n.r: Dirk Pullem, Britta Söntgerath, David Grade und Lisa DeZanet.

Die DOS setzt sich für den „Säkularen Staat“ und somit für eine konsequente Trennung von Staat und Bekenntnis ein.

Die DOS will eine „Evidenzbasierte Politik“ betreiben, heiße: politische Entscheidungen werden auf Basis anerkannter, wissenschaftlicher Erkenntnisse gefällt.

Die Partei will Maßnahmen fördern, die „Umweltschutz“ dienen und dem „Klimawandel“ Rechnung tragen.

Die DOS bekennt sich zur internationalen Gemeinschaft und sieht „ein vereintes, demokratisches Europa als den Garanten für Frieden und allgemeinen Wohlstadt für die Menschen in Europa. Ziel ist die Überwindung von nationalen Grenzen.

„Respektvoller Umgang“: „Wir bemühen uns um den respektvollen Umgang mit Jedermensch. Wir kritisieren Meinungen, Äußerungen und Handlungen, nicht Menschen.“

Gewählt wurden

Die Bundesvorsitzenden der DOS v.l.nr.: Nadja Reigl und Magdalena Zenglein.

Mit absoluter Mehrheit der Stimmen der 17 Gründungsmitglieder ist Nadja Reigl zur Bundesvorsitzenden (für 2 Jahre) und Magdalena Zenglein zur Bundesvorsitzen (für 1 Jahr) gewählt worden.

Schatzmeisterin der DOS wurde Andrea Wille. Zu Beisitzenden wählte man Torsten Sommer 8für 2 Jahre), Britte Sönthgerat (für 1 Jahr), Maja Tiegs (für 2 Jahre), David Grade (für 1 Jahr), Lisa-Veronique De Zanet (für 1 Jahr) sowie Dirk Pullem (für 1 Jahr).

David Grade: „Ich will ein anderes Europa“

David Grade begründete sein erneutes politisches Engagement a.a. mit der derzeitigen katastrophalen Situation der an der türkisch-griechischen Grenze: „Ich will ein anderes Europa. Ich will eine andere, offene Gesellschaft. Ich möchte, dass Menschen gut miteinander ohne Angst zusammenleben können. Die DOS werde alle unterstützen die weltoffen sind und den Klimawandel so gestalten, dass die nötigen Maßnahmen sozial abgefedert sind.“

Bundesvorsitzende Nadja Reigl: „Wir stehen links von der Mitte“

Bundesvorsitzende Nadja Reigl unterstrich in einer kurzen Rede die Wichtigkeit dieser Parteigründung. Die DOS werde u.a. Menschen, die im Wesentlichen wie die zur Parteigründung gekommenen dächten. Nadja Reigl erklärte: „Wir stehen links von

der Mitte.“ Man wolle eine Zukunft mitgestalten, die für alle Menschen lebenswert ist“. Parlamentarische Erfahrung hätten einige von ihnen bereits gesammelt. Man habe viel gelernt und sich weiterentwickelt.

In den Städten, in welchen man sich Personal schon leiste könne, werde man Listen für die Kommunalwahl aufstellen, auch Kandidaten für die Bürgermeisterwahlen. Allerdings müssten diese Kandidaten erst einmal gewählt werden. Reigl: „Wir brauchen Wahlprogramme, die auf unseren Axiomen beruhen.“

Wie die Partei DOS sich selbst sieht und beschreibt, das lesen Sie bitte hier.

Podiumsdiskussion in Dortmund: UMfairTEILEN hierzulande dringend nötig

Auf dem Podium: Markus Kurth, Hubertus Zdebel, Ingo Meyer (Koordinator Bündnis für UMfairtTEILEN Dortmund und Jutta Reiter (von links nach rechts); Fotos: Claus Stille

Auf dem Podium: Markus Kurth, Hubertus Zdebel, Ingo Meyer (Koordinator Bündnis für UMfairtTEILEN Dortmund und Jutta Reiter (von links nach rechts); Fotos: Claus Stille

Das Bündnis für UMfairTEILEN Dortmund und der DGB Dortmund-Hellweg hatten für diesen Montag zu einer Podiumsdiskussion in den Großen Saal der Auslandsgesellschaft NRW Dortmund eingeladen. Die Veranstaltung traf auf großes Interesse. Eingeladene Politiker von CDU und SPD hatten aus Krankheits- bzw. Termingründen abgesagt. Gekommen waren Markus Kurth (MdB Bündnis 90/Die Grünen), Hubertus Zdebel (MdB DIE LINKE), Ingo Meyer (Bündnis UmfairTEILEN), Jutta Reiter (Vorsitzende DGB Dortmund-Hellweg) und Torsten Sommer (MdL Piraten).

DGB-Vorsitzende fand die Veranstaltung zeitlich gut terminiert

Jutta Reiter meinte eingangs, die Veranstaltung hätte „je eigentlich terminlich nicht besser liegen können“. Anscheinend seien momentan endlich „Teile der Bundesregierung“ dabei sich der von ihnen mit verursachten Sparpolitik „kritisch zuzuwenden“. Jutta Reiter hält zwar Investitionsprogramme ausschließlich für Deutsche für grundsätzlich falsch, hat aber die Hoffnung, dass grundsätzliche Themen nun in den Vordergrund rückten. Dringend sei nämlich eine Rückkehr von der Sparpolitik, damit sich die Spaltung in Land nicht weiter vertiefe. Reiter vermutet, „hätten wir die Flüchtlinge nicht im Land, hätten wir noch zig Jahre darauf warten müssen, dass bestimmte soziale Missstände und Verwerfungen endlich wahrgenommen werden von den Regierenden“. Auch deshalb, so die DGB-Vorsitzende, sei die Veranstaltung zeitlich gut terminiert, weil der DinA8_HK_FIN3_14DGB gerade seinen Verteilungsbericht veröffentlicht habe. Ziemlich erdrückend seien einige Fakten darin. Sie untermauerten noch einmal das Vorhandensein der soziale Schieflage im Lande. Trotz steigender Konjunktur wüchsen Einkommensungleichheit und Armut weiter.

Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Armut auch verstärkt im relativ reichen Münster sichtbar

Hubertus Zdebel, der aus Münster, einer relativ reichen Stadt kommt, bemerke auch dort immer sichtbare Armut in der Öffentlichkeit. Eingedenk dessen merkte er an: „Wer über Armut redet, darf über Reichtum nicht schweigen.“ Seine Partei habe schon vor der letzten Bundestagswahl ein umfassendes Steuerkonzept vorgelegt, das auch Forderungen des Bündnisses für UMfairTEILEN durchaus beinhaltete. DIE LINKE setze sich klar für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und für eine gerechtere Erbschaftssteuer sowie die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Abschaffung von Hartz IV ein.

Wir steuern auf eine Art Refeudalisierung zu“, meint der Grüne Markus Kurth

Der Dortmund Politiker Markus Kurth erinnerte an das umfangreiche und durchaus gerechte Steuerkonzept seiner Partei, dass diese zur letzten Bundestagswahl vorgelegt hatte. Welches jedoch dazu bekanntlich dazu geführt hat, dass die Partei verbale Prügel dafür bezog, „von den Medien fast gänzlich eingemacht worden ist“ und die Grünen damit bei den Wählerinnen und Wählern schlussendlich nicht zu reüssieren vermochten. Kurth konstatierte betreffs der derzeitigen gesellschaftlichen Situation: „Wir steuern auf eine Art Refeudalisierung zu“. Reiche beträfen die negativen Folgen dessen für gewöhnlich nicht. Sie seien auf einen starken Staat nicht angewiesen.

Kurth beklagte, dass es im Augenblick jenseits informierter Kreise offenbar nicht zu gelingen scheint, darüber eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, die wirklich das Potential hat Mehrheiten in diesem Land zu verändern“.

Torsten Sommer (rechts außen), MdB Piraten, brachte u.a. das Bedingungslose Grundeinkommen aufs Tapet.

Torsten Sommer (rechts außen), MdB Piraten, brachte u.a. das Bedingungslose Grundeinkommen aufs Tapet.

Torsten Sommer: Warum lassen sich Viele durch Hass und Hetze bewegen und nur Wenige finden, die an praktischen Lösungen arbeiten?

Piraten-Politiker Torsten Sommer befasst sich als Abgeordneter seiner Partei im Düsseldorfer Landtag speziell mit Arbeitspolitik. Er vertrat die Meinung seiner Partei, wonach Einkommen durch Arbeit nicht mehr die Lebenserfüllung allein sein werde. Treffend seine Anmerkung zur aktuellen Debatte im Lande: „Es ist schon interessant wie viel Menschen sich durch Hass und Hetze bewegen lassen. Aber sobald es um praktische Lösungen gehen solle“, die tragfähig für unsere Gesellschaft sind, sähe man praktisch immer die gleichen Gesichter von Menschen (wie an diesem Abend auch wieder), die sich hinsichtlich dessen engagierten. Sommer strich heraus, dass die auf dem Podium Sitzenden im Grunde – bis auf Nuancen – betreffs politischer Lösungen, die die Spaltung in Arm und Reich zurückzuführen imstande wären, ziemlich einig sei. Torsten Sommer zitierte, um die gesellschaftliche Situation zu skizzieren Klaus Lage: „Die Kohle fällt nach oben. Und das immer schneller. Das wird unsere Gesellschaft zerreißen. Früher oder später“.

Lebhafte und kontroverse Debatte im Anschluss

In Anschluss an die Redebeiträge der Politiker entspann sich eine interessante und in Teilen auch äußerst kontroverse Diskussion. Darin musste sich der Grünen-Politiker Markus Kurth teils heftige Kritik dafür anhören, dass seine Partei an der Installierung von Hartz IV beteiligt gewesen war. Dabei gehörte er damals „Abweichler“ zu denen Abgeordneten seiner Fraktion – was auch Anerkennung fand – die seinerseits im Bundestag gegen die unsozialen Gesetze stimmte. Immer wieder kochte die Stimmung im Saal hoch. Da hatte sich wohl einfach zu viel angesammelt. Zutage trat an mehreren Stellen der Diskussion deutlich, dass Politik nach Max Weber tatsächlich „ein starkes langsamen Bohrens von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ bedeutet. Dazu kommen die Fallstricke, die durch das bundesdeutsche föderale System zusätzlich gespannt sind. Auch die Gewerkschaftsvertreterin musste in Sachen der Lohnpolitik Kritik einstecken.

Versäumnisse in der Bildungspolitik wurden von einer Lehrerin aus dem Publikum aufs Tapet gebracht. Danach brenne in vielen Schulen sozusagen bereits seit langem der Hut. Dringend seien Investitionen nötig. Lehrer fehlten. „Wir haben eine schreckliche Armut unter Schülern“, gab die Pädagogin eindringlich zu bedenken. Sie forderte von Markus Kurth ein, dass seiener Parteikollegin, der grünen Bildungsministerin von NRW, Sylvia Löhrmann, eindringlich zu übermitteln. Was dieser versprach zu tun.

Streckenweise uferte die Diskussion aus

Streckenweise schweifte die Diskussion vom Thema ab und drohte zuweilen auszuufern. Kein Wunder: zu viele gesellschaftliche Schwachstellen und Baustellen haben sich in den letzten Jahrzehnten angesammelt. Sind nicht vom Himmel gefallen, sondern wurden politisch von den jeweils Regierenden ins Werk gesetzt. So wurde die sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und CETA angesprochen. Und vor den daraus sehr wahrscheinlich resultierenden gesellschaftlichen Folgen und der Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaat gewarnt. Überdies wurde auf dem Podium wie seitens des Publikums über das Für und Wider des BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) diskutiert aber keine Lösung gefunden. Schließlich hätte das BGE, wandte Markus Kurth ein, nicht nur gute Auswirkungen.

Optimistischer Blick in die Zunft. Bohren dicker Bretter weiter nötig

20160229_194546Klar kristallisierte sich dank dieser Veranstaltung heraus, dass ein UmfairTEILEN hierzulande dringend geboten ist, um die Gesellschaft wieder gerechter zu machen und die Demokratie zu bewahren. Die anwesenden Parteivertreter und die Gewerkschaftsvertreterin waren sich darin einig, dass es zwischen den dazu führen könnenden Konzepten ihrer Parteien nur marginale – durchaus überbrückbare – Unterschiede gebe. Selbst in der CDU – etwa in deren Arbeitnehmerflügel – wären Mitstreiter zu gewinnen. Bauchschmerzen habe man dagegen mit dem Handeln der SPD, ob schönen Worte (wie beispielsweise bei den jüngsten Äußerungen ihres Parteichefs und Vizekanzlers Sigmar Gabriel) letztlich auch entsprechende Taten folgten. Doch auch dies bekannte man: Bis das UMfairTEILEN wirklich durch die Politik angestoßen werde, könne es noch einige Zeit dauern. Diesbezüglich gab man sich durchaus zuversichtlich. Schließlich habe es ja auch vor ein paar Jahren kaum jemand für möglich gehalten, dass es in Dortmund gelänge verschiedene politische Kräfte, Vereine, kirchliche Vertreter und Gewerkschaften über das Bündnis für UmfairTEILEN nicht nur an einen Tisch zu bringen, sondern auch für ein gemeinsames An-den-Strang-Ziehen gewinnen. In diesem Sinne zufrieden über den enormen Zuspruch an der Veranstaltung und über die hohe Diskussionsfreudigkeit der Anwesenden am vergangenen Montag in der Auslandsgesellschaft Dortmund schloss Ingo Meyer diese optimistisch in die Zukunft blickend. Nun müssen weiter dicke Bretter gebohrt werden …

Dortmund: Lesung zur Bücherverbrennung schlug Bogen ins Heute

Einer der Initiatoren der Lesung, der Bundestagsabgeordnete der SPD, Marco Bülow; Fotos: Stille

Einer der Initiatoren der Lesung, der Bundestagsabgeordnete der SPD, Marco Bülow; Fotos: Stille

Der Anlass aus welchem man sich am vergangenen Montag im Foyer des Schauspiel Dortmund (Theater Dortmund) am Hiltropwall der Ruhrgebietsmetropole zusammenfand, war einer, der an schreckliche Taten erinnern sollte. Sie geschahen vor nunmehr über acht Jahrzehnten. Am 30. Mai 1933 verbrannten Nationalsozialisten auf dem Dortmunder Hansaplatz – wie in vielen anderen deutschen Städten ebenfalls – die Bücher zahlreicher Schriftsteller. Demokraten sollen derlei nie wieder zulassen. Schließlich weiß man: Wo Bücher verbrannt werden, verbrennt man bald auch Menschen.

Fürchterlichen Geschehnissen von damals zu gedenken, heißt auch das Heute in den Blick zu nehmen

Gedenken an die fürchterlichen Geschehnisse von damals ohne einen aktuellen Bezug zur Gegenwart herzustellen vertut Chancen, die Demokratie wehrhaft zu schützen. Zumal sich in jüngster Vergangenheit in Dortmund schlimme Übergriffe auf Demokraten zugetragen haben. Neonazis bedrohten immer wieder Antifaschisten. Anhänger der Partei Die Rechte griffen Demokraten an, die sich nach Abschluss der letzten Kommunalwahl einer rechten Horde entgegenstellten, die das Rathaus hatten stürmen wollen. Kritische, antifaschistische Journalisten mussten offenbar von Neonazis geschaltete Todesanzeigen gegen sie in der Zeitung lesen. Dies war der letzte Auslöser für einen Entschluss des Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow betreffs einer solchen Veranstaltung.

Marco Bülow und Kollege Markus Kurth wollten Zeichen setzen

Auf Initiative der Bundestagsabgeordneten Marco Bülow (SPD) und Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) lasen Mitglieder des Dortmunder Schauspiel-Ensembles an diesem Montag Texte der einst verbotenen Autoren, begleitet von den anderen Abgeordneten des Bundestags aus Dortmund:

„Die Bücherverbrennung der Nazis symbolisiert Unmenschlichkeit und die Angst vor Freiheit und dem freien Wort. Auch heute sähen Rechtsextremisten wieder Hass gegen engagierte Journalisten und Politiker – dagegen möchte ich ein Zeichen setzen“, so MdB Marco Bülow (SPD), der sich den Worten von Markus Kurth (MdB von Bündnis 90/Die Grünen) anschließt: „Rassismus und menschenfeindliche politische Dummheit scheinen nie auszusterben. Daher gilt es, sich für all jene zu engagieren, die mit Geist und Scharfsinn, mit der Macht des Worts der Dummheit entgegentreten.“

Marco Bülow: „Wenn man Schriftsteller, Autoren öffentlich bedroht, versucht man die Meinungsfreiheit einzuschränken

Der Titel der Lesung für Presse- und Meinungsfreiheit lautete: „Wer weiterliest, wird erschossen“

Die jeweiligen anwesenden Politiker – man merke auf: Mitglieder von CDU, SPD, Bündnis 90/Grüne, Piratenpartei und DIE LINKE im Verein für eine Sache! – äußerten sich in kurzen Wortbeiträgen zu ihren Gründen, einen bestimmten Text einer Autorin, eines Autors gewählt zu haben. Marco Bülow: „Wenn man Schriftsteller, Autoren öffentlich bedroht, versucht man die Meinungsfreiheit einzuschränken. Dann muss man deutlich machen, dass das so nicht geht. Dann muss man ein Zeichen setzen.“ Dieser historische Jahrestag – Bücherverbrennung in Dortmund – eigne sich seiner Meinung nach dafür außerordentlich gut. „Für das damals Geschehene gibt es keine Kollektivschuld der heutigen Menschen. Wir haben aber eine Verantwortung zu dem was jetzt passiert.“ Gerade auch in Dortmund liefen heute wieder Menschen herum, die „damalige Zeiten wieder zurückholen wollen“ und Ängste schüren. Verantwortung zu übernehmen, heiße zu gedenken – so Bülow weiter – sondern auch Zeichen zu setzen. Nicht nur auf der Straße. Auch in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen. Ausdrücklich zur Lektüre empfahl der Sozialdemokrat Volker Weidermanns „Das Buch der verbrannten Bücher“. Zum Vorlesen wählte Marco Bülow Stefan Zweig „Die Welt von Gestern“.

Ulla Jelpke: Rosa Luxemburg war nicht das Flintenweib, als das sie ihre Feinde darstellten

Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE) erklärt, warum sie sich für einen Text von Rosa Luxemburg entschied.

Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE) erklärt, warum sie sich für einen Text von Rosa Luxemburg entschied.

Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE) präferierte die Autorin Rosa Luxemburg, deren Bücher alle verboten und verbrannt wurden, entschieden. Gerade in „Briefe aus dem Gefängnis“, merkte die LINKE-Politikerin an, zeige für sie, dass Luxemburg, die oft als „kaltblütig bis blutrünstig“ beschrieben worden sei „nicht das Flintenweib“ gewesen sei, als das sie von ihren Feinden dargestellt wurde und von bestimmten Kreisen heutzutage noch noch so gesehen werde. Rosa Luxemburg sei eine große Humanistin gewesen. Ihre Inhaftierung habe einzig den Grund gehabt, eine hartnäckige Kriegsgegnerin zum Schweigen gebracht werden sollen, sagte Jelpke.

An den Grundfesten der Verfasstheit unserer Gesellschaft dürfe allerdings nicht gerüttelt werden, machte Pirat Torsten Sommer deutlich

Pirat Torsten Sommer bedankte sich besonders dafür, an der Veranstaltung teilnehmen zu dürfen, schließlich kein Mitglied einer großen Partei, sondern „nur einer kleine Partei und Abgeordneter im im Landtag von NRW“. Sommer hob hervor, wie wichtig es ihm sei über Parteigrenzen hinweg „ein Zeichen der Entschlossenheit gegen Nazis“ senden zu können, „die nicht nur in unserer Stadt ihr Unwesen treiben“. „Bei allen politischen Differenzen, die wir im System haben.“ Sommer hatte sich für einen Text aus der Hand Jack Londons „Die eiserne Ferse“ entschieden. Der Politiker der Piratenpartei kritisierte die Benutzung des Ausdrucks „Lügenpresse“ hart und wollte für die Gesellschaft das Folgende gelten lassen: Jeder dürfe bei uns ziemlich alles sagen was er wolle, postulierte Torsten Sommer. An den Grundfesten der Verfasstheit unserer Gesellschaft dürfe allerdings nicht gerüttelt werden. Niemand habe das Recht jemanden zu diffamieren.

Selbst nicht regimekritische Bücher wurden am Ende verbrannt, bemerkte Steffen Kanitz (MdB CDU) an

Steffen Kanitz (MdB CDU) mit einem Kinderroman von Erich Kästner.

Steffen Kanitz (MdB CDU) mit einem Kinderroman von Erich Kästner.

Der Christdemokrat und Bundestagsabgeordnete seiner Partei, Steffen Kanitz trat mit einem Kinderroman auf den Plan: „Pünktchen und Anton“ von Erich Kästner. Ein eigentlich äußerst unterhaltsames „und längst nicht regimekritisches Buch“, wie Kanitz anmerkte, „das aber am Ende auch verbrannt“ wurde. Wie übrigens fast alle Werke dieses Schriftstellers.

Markus Kurth: In der aus den Fugen geratenen Welt Witz und Humor behalten

Markus Kurth (MdB Bündnis90/Grüne): Dürfen unseren Humor nicht verlieren.

Markus Kurth (MdB Bündnis90/Grüne): Dürfen unseren Humor nicht verlieren.

Schlussendlich der Grünen-Politiker Markus Kurth war mit „Der Untertan“ von Heinrich Mann angetreten. Ein Roman, in welchem Diederich Heßling eigentlich tragikomisch auftritt – der ein Machtmensch in wilhelminischer Zeit ist, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Eine Sorte Mensch, „ein weiches Kind“ von Geburt, wie Heinrich Mann schreibt, die – wie wir gewiss alles wissen – auch heute noch nicht ausgestorben ist. Kurth gefalle, so sagte er, dass Mann „diesen autoritären Charakter immer wieder in seiner ganzen Lächerlichkeit“ zeige. Der Grüne mutmaßte, dass die Nazis gerade deswegen auch gerade dieses Buch unbedingt verbrennen wollten und verbrannten. Markus Kurth gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass wir angesichts da momentan „die Welt aus den Fugen geraten zu sein scheint“ auch „unseren Witz und Humor behalten“ mögen.

Fazit

Andreas Beck, einer beiden Schauspieler beim lesen eines der Texte.

Andreas Beck, einer beiden Schauspieler beim lesen eines der Texte.

Ein rundum gelungene Veranstaltung! Als wirklicher Glücksgriff erwies sich, dass die Texte für die sich die anwesenden Politikerin und ihren Kollegen entschieden hatten, von brillanten Schauspielern gelesen – was schreibe ich: mit Herz, Seele und beinahe jeder Faser ihres Körpers gegeben – wurden! Das hatte sich freilich auch in der so erfolgreich von Kay Voges geführten Spielstätte des Theaters Dortmund förmlich angeboten. Die Schauspieler Andreas Beck und Uwe Robeck sorgten im oberen Foyer des Schauspiel Dortmund dafür, dass sich die gewiss hochpolitische Lesung unter dem Titel „Wer weiterliest, wird erschossen!“ künstlerisch sich zu einem wirklichen Glanzlicht steigerte. Es lief einen eiskalt den Rücken herunter. Man war und wurde mitgenommen. Gedenken an das schlimme Vergangene. Vergangen? Das Gedenken an verbrannte Bücher und Menschen, dass in der Gegenwart ankam – wo schlimme Gestalten aufs Neue versuchen, Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken. Die dankenswerterweise von Marco Bülow und Markus Kurth initiierte, sich gegen Rassismus und menschenfeindliche politische Dummheit wendende, Lesung setzte ein nötiges Zeichen. In der Tat! Es kann der teilnehmenden Politikerin, den anwesenden Politikern, welche sich über Parteigrenzen – von CDU bis zur LINKEn – unbedingt für die Bewahrung der Presse- und Meinungsfreiheit – um nichts geringeres als die Verteidigung von Demokratie und demokratischer Rechte – engagierten und so Gesicht zeigten und ihre Stimme erhoben.