IPPNW fordert Schutz für Veröffentlichungen über schwere Menschenrechtsverletzungen anlässlich des Gerichtstermins von Julian Assange

IPPNW-Pressemitteilung vom 17. Mai 2024

Gerichtstermin von Wikileaks-Gründer Julian Assange in London

Julian Asange, August 2014, Whistleblower

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Bundesregierung im Vorfeld des Gerichtstermins am 20. Mai 2024 in London auf, sich unmissverständlich für die sofortige Freilassung von Assange einzusetzen und ihm politisches Asyl anzubieten. Die Bedingungen seiner Isolationshaft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh hat der damalige UN-Sonderberichterstatter über Folter Nils Melzer als einen Fall von psychischer Folter bezeichnet – sie dauert nun schon 5 Jahre an.

„Seine Freilassung ist nicht nur zur Abwendung von weiterer Folter und Gesundheitsschädigung des Gefangenen wichtig, sondern auch für Pressefreiheit, Menschenrechte und insbesondere die Friedensbewegung eminent“, heißt es in einem Beschluss der IPPNW-Mitgliederversammlung von Ende April.

Julian Assange ist nach dem US-amerikanischen Spionagegesetz angeklagt für Wikileaks-Veröffentlichungen, die für die weltweite Friedensbewegung von großer Bedeutung waren und sind. Im Falle einer Verurteilung dort drohen ihm 175 Jahre Haft. Dabei ist bis heute unklar, ob nicht nach der Auslieferung die Anklage noch erweitert werden kann und Assange die Todesstrafe drohen könne.

Assange hat durch die Veröffentlichung von Dokumenten nachweisen können, dass die US-Regierung der Bevölkerung bewusst ein falsches Bild des Irakkrieges gezeichnet hat, indem sie die Grausamkeiten des Krieges verschwieg und Kriegsverbrechen der USA geheim hielt. Auch konnte mit Hilfe der von Wikileaks veröffentlichten Informationen über die mehr als 92.000 durch direkte Kampfhandlungen getöteten Zivilist*innen ermittelt werden und so Druck zur Beendigung des Krieges im Irak erzeugt werden (IPPNW 2015, S. 42).

Die Verfolgung von Assange schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, wonach überall auf der Welt Journalist*innen und Verleger*innen bei Veröffentlichungen von Verschlusssachen der USA mit Strafverfolgung bedroht sind.



Weitere Informationen:
IPPNW Report (2015): Body Count. Opferzahlen nach 10 Jahren „Krieg gegen den Terror“. Irak – Afghanistan – Pakistan
Beschluss der IPPNW-Mitgliederversammlung (2024): „Die Rettung von Julian Assange ist wichtiges Anliegen der Friedensbewegung!
IPPNW-Factsheet: 6 Fakten zu Julian Assange

Quelle: IPPNW-Pressemitteilung vom 17. Mai 2024

Beitragsfoto: ©Claus Stille von einer Aktion für Julian Assange in Dortmund

Verband beklagt: Bundesregierung tut zu wenig gegen Armut

Teure Mieten, Heizkosten und Lebensmittelpreise: Die Armut in Deutschland bleibt hoch und die Regierung unternehme nicht genug dagegen. Das beklagt der Paritätische Wohlfahrtsverband unter Verweis auf neue statistische Daten. Vor allem Senioren sind immer häufiger betroffen.

Von Susan Bonath

Die soziale Spaltung bleibt ein Dauerbrenner in Deutschland. SPD und Grüne referieren gerne lang und breit darüber, wie man diesen Zustand denn überwinden könne, meist mit einer Tendenz zur Grundannahme, die Armen seien selber schuld an ihrer Lage, nicht etwa das gesellschaftliche System. Doch weder das sanktionsbewehrte „Fordern und Fördern“ unter „Hartz IV“, das die Sozialdemokraten viele Jahre gemeinsam mit der CDU rigide praktizierten, noch hübsch klingende Gesetzestitel änderten die Lage. Deutschland hat ein Armutsproblem.

Das geht aus einer neuen Auswertung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (Gesamtverband e. V. als Dachverband) hervor, die sich auf aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2023 stützt. Demnach leben noch immer mehr als 14 Millionen Bundesbürger in Armut. Betroffen sei mehr als jedes fünfte Kind und beinahe die Hälfte aller Alleinerziehenden. Besonders unter Senioren schnellte demnach die Armutsquote hoch – eine seit langem absehbare Folge der fortgesetzten Rentenkürzungspolitik.

Verfestigte Armut

Zunächst lobt der Gesamtverband: Die Kinderarmut sei „markant zurückgegangen“. Betrachtet man aber die Zahlen genauer, klingt das reichlich übertrieben positiv. So sank demnach der Anteil armer Kinder in Deutschland seit 2021 gerade einmal von 21,3 auf 20,7 Prozent, also um 0,6 Prozentpunkte. Noch 2019 registrierten die Bundesstatistiker eine Armutsquote bei den Minderjährigen von „nur“ 15 Prozent. Somit blieb die Gruppe armer Kinder auch 2023 um fast 40 Prozent größer als vier Jahre zuvor..

Ähnlich ist die Interpretation der Statistik für Alleinerziehende: Der Verband schreibt, hier sei die Armutsquote binnen Jahresfrist von 43,2 auf 41 Prozent gesunken. Im Jahr 2020 lag der Anteil armer Alleinerziehender jedoch noch bei gut 40 Prozent. Diese Zahlen sind insgesamt bedenklich. Sie verdeutlichen vor allem, dass es die Regierungspolitik weiterhin nicht schafft, der am stärksten betroffenen Gruppe gute Lebensperspektiven in ihrer hochgelobten „marktkonformen Demokratie“ zu ermöglichen.

Bei den Rentnern indes kletterte die Armutsquote demnach binnen Jahresfrist von gut 18 auf fast 19 Prozent. Frauen jeden Alters sind weiterhin viel öfter arm als gleichaltrige Männer. Laut Statistikbehörde liegt das vor allem daran, dass sie häufiger in schlecht bezahlten Berufen arbeiten und aufgrund von „Care-Arbeit“, also für Haushalt, Kinder und Pflege Angehöriger, häufiger bei der finanziell vergüteten „Erwerbsarbeit“ pausieren müssen.

Besonders hohe Armutsquoten wiesen in Deutschland überdies Einpersonenhaushalte (28,1 Prozent), junge Erwachsene unter 25 Jahren (Männer: 23,6 und Frauen 26,5 Prozent), Menschen mit Migrationshintergrund (rund 28 Prozent) sowie Familien mit drei oder mehr Kindern (gut 30 Prozent) auf. Das Problem scheint sich mehr und mehr zu verfestigen.

Nicht genug für Grundbedürfnisse

Wachsende Armut bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, verbunden mit Niedriglohn, Arbeitslosigkeit und allgemeinem Sozialabbau nicht zuletzt im Bildungswesen, grassiert genauso wie die zunehmende finanzielle Not im Alter in allen Ländern der Europäischen Union (EU). Die neoliberale Doktrin des Westens ist da sehr rücksichtslos. Sie behandelt Lohnabhängige nach ihrem Nutzen – für das Kapital.

Wer nicht mithält, hat eben Pech. So fehlt es armen Menschen zusehends am Geld für absolute Grundbedürfnisse. Laut Statistikamt konnten beispielsweise im Jahr 2022 rund 5,5 Millionen Einwohner Deutschlands, also knapp sieben Prozent, ihre Wohnung im Winter nicht mehr angemessen beheizen. Damit hatte sich diese Zahl von Betroffenen binnen Jahresfrist verdoppelt. EU-weit war sogar jeder Zehnte davon betroffen. Eine beheizte Wohnung zählt bekanntlich zu den Grundbedürfnissen.

Dies geschah freilich mit politischer Ansage: Die Energiepreise schnellten vorhersehbar in die Höhe, als die EU ihre Sanktionen gegen Russland verschärfte. Sie explodierten geradezu, gefolgt von den Lebensmittelpreisen, nach dem Terroranschlag auf die Erdgas-Trassen Nord Stream, hinter dem viele Kritiker vor allem die USA vermuten. Doch bekanntlich ist der Drang, dieses Verbrechen aufzuklären, bei der Bundesregierung selbst und auch innerhalb der EU nicht erkennbar.

Verband fordert „konsequentere Reformen“

Laut Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, würden die statistisch marginalen Verbesserungen zeigen, „dass Armutsbekämpfung möglich ist“. Maßnahmen wie eine Erhöhung des Kindergelds und -zuschlags, Verbesserungen beim Wohngeld und beim BAföG, vor allem aber die Anhebung des Mindestlohns, zeigten nach seiner Meinung durchaus eine Wirkung. Aber er ergänzte:

„Die Reformen müssen nur wesentlich konsequenter angegangen werden.“

Überdies mahnte Schneider Erhöhungen der Altersgrundsicherung und des Bürgergeldes an und forderte einen „armutsfesten Familienlastenausgleich“. Das System der gesetzlichen Rentenversicherung sei durchgreifend zu reformieren. Nötig sei eine ausreichende Mindestrente. Andernfalls werde die Altersarmut weiter steigen, warnte Schneider.

Vermutlich wird es dennoch so weiterlaufen wie seit vielen Jahren: Die Sozialverbände warnen, die Bundesregierung wiegelt ab und bastelt bestenfalls eine Novelle, die vielleicht hübsch klingt, aber vor allem den wirklich Bedürftigen wenig nützt. Die Grünen und die SPD können das dann immer noch auf die FDP schieben, die bekanntlich seit langem mehr für die Reichen übrig hat.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Bitte an das Präsidium der Freien Universität, Fehler einzuräumen und auf die protestierenden Universitätsangehörigen in Sachen Gaza-Krieg zeitnah einzugehen. Die bisherigen Erklärungen reichen nicht. Stellungnahme vom 15. Mai 2024

Nach Gesprächen mit den Protestierenden seit letztem Dezember und vor allem nach der Räumung und einem online Meeting vom 13. Mai ist mir klar geworden, dass sich die Studierenden und Dozent:innen, zusammen mit Vertretern anderer Berliner Universitäten und inzwischen auch international mit Räumung und nachfolgenden Erklärungen nicht zufrieden geben werden. Sie kritisieren Es ist vor […]

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Über die Legitimität des weltweiten studentischen Protests für einen Waffenstillstand in Gaza- auch an den Universitäten Berlins und über eine beispiellose Hetze von Bild

1)Die palästinensische Frage ist „der Kern unserer politischen Krankheit, unserer langjährigen sozialen Malaise und unseres ständigen Rückgriffs auf Gewalt. Ich weiß nicht, ob der Konflikt mit den Palästinensern noch eine friedliche Lösung finden kann. Aber sicher ist, dass die fortgesetzte Annexion und der ständige Ausbau der Siedlungen die Flammen anfachen. Und die Brutalität unseres Vorgehens […]

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Breite Front der Hardliner: Wer CDU wählt, wählt auch den Krieg

Die CDU bleibt fest auf ihrem Kriegskurs. Als Partei der Hardliner für Aufrüstung und Wehrpflicht treibt sie die Ampel-Koalition vor sich her, Ukrainer hierzulande würde sie am liebsten an die Front zwingen. Das stellte die CDU auf ihrem Bundesparteitag und in einer Ministerkonferenz klar. Die Opposition dagegen ist klein – und zu leise.

Von Susan Bonath

„Kriegstüchtig“ soll Deutschland werden. So will es der Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius (SPD). Seine Koalitionspartner, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP, weiß er hinter sich. Längst pumpt Deutschland dem angeblichen Sozialstaat abgezwackte Milliarden ins Militär.

Noch radikaler geht die pseudooppositionelle Unionsfraktion zur Sache: Die CDU will die deutsche Wehrpflicht so schnell wie möglich reaktivieren sowie ukrainische Flüchtlinge an die Front zwingen. Das stellte die Partei auf ihrem Parteitag und bei einer Konferenz der Innenminister der Bundesländer klar.

Ukrainer an die Front

Autoritär und nationalistisch trommelt die CDU unter Friedrich Merz. Dieser wurde auf dem gerade beendeten Parteitag erneut zum Parteichef gewählt. Bei einer Konferenz der Innenminister am Dienstag klang es ähnlich: Die „Christdemokraten“ setzen auf Zwang und Erpressung, um junge Deutsche für die Bundeswehr zu rekrutieren und ukrainische Kriegsflüchtlinge als Kanonenfutter preiszugeben.

Hessens CDU-Innenminister Roman Poseck will der Ukraine dabei helfen, nach Deutschland geflüchtete Verweigerer an die Front zu holen. Weil der Selenskij-Regierung die Soldaten wegsterben, dürfen die ukrainischen Botschaften im Ausland männlichen Ukrainern im Alter von 18 bis 60 Jahren nun keine neuen Dokumente mehr ausstellen. Betroffene müssten dazu in die Heimat reisen, wo sie festgehalten würden.

Poseck sagte dem Hessischen Rundfunk, deutsche Behörden dürften Ukrainern daher keine Ersatzpapiere ausstellen, die ihnen ein Bleiberecht ermöglichten. Er erklärte: „Ich bin skeptisch, weil ich nicht sehe, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen.“ Schließlich sei laut Poseck die Ukraine kein Unrechtsstaat.

In den Krieg oder verhungern?

Sein Parteikollege Roderich Kiesewetter im Deutschen Bundestag schlug dafür ein konkretes Vorgehen vor: Existenzielle Erpressung. Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) tönte der kriegslüsterne CDU-Abgeordnete:

„Deutschland soll die Ukraine dabei unterstützen, den wehrfähigen Männern faire Angebote zu machen und Anreize zu setzen, freiwillig zurückzukehren.“

Wie Kiesewetter und seine Partei das Wort „freiwillig“ auslegen, ist seit Hartz IV bekannt: Existenzminimum gibt es nur gegen absoluten Gehorsam. So solle Deutschland den todesunwilligen Ukrainern das Bürgergeld entziehen und „bei der Erfassung und Zustellung von Bescheiden mithelfen“. Von einem Ersatz des Bürgergelds durch die um etwa 20 Prozent niedrigeren Asylbewerberleistungen ist aber keine Rede. Mit anderen Worten: Wer nicht an die Front will, soll eben verhungern.

Die CDU nennt so ein Vorgehen „Wahlfreiheit“. Schließlich könnten die Männer zumindest noch Asyl beantragen – und bei Ablehnung dann eben verhungern oder kriminell werden. Das Kalkül der CDU: Kriegsdienstverweigerung gilt in Deutschland nicht per se als Asylgrund. Laut RND sind in Deutschland rund 256.000 ukrainische Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren registriert.

Ampel zieht mit

Auch die „Ampel“-Regierung hat Russland zum Erzfeind erklärt. Wie die Unionsparteien CDU und CSU posaunen Die Grünen, die SPD und die FDP ihre Wahnvorstellung in alle Welt, wonach Russlands Präsident Wladimir Putin perspektivisch ganz Europa erobern wolle. Insofern sind die Beschwichtigungen aus ihren Reihen, keinen Ukrainer in an die Front zu zwingen, so unglaubwürdig wie wankelmütig.

Das von Nancy Faeser (SPD) geführte Bundesministerium des Innern antwortete kürzlich dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (BSW) zum konkreten Vorgehen sehr zwiespältig. Einerseits teilte es ihm auf Anfrage mit, der Ausstellungsstopp für Reisepässe habe auf die Gewährung von vorübergehendem Schutz „keine Auswirkungen“ auf kriegsmüde Ukrainer.

Andererseits schrieb das Ministerium, ausländische Bürger, die sich in Deutschland aufhalten, müssten „grundsätzlich im Besitz eines gültigen Passes“ sein. Eine in ihrer Heimat bestehende Wehrpflicht sei kein Grund, die Passbeschaffung dort als unzumutbar einzustufen. Darauf baut die CDU. Werden Ukrainer also bald gezwungen werden zurückzureisen, um zwangsverpflichtet an der Front zu enden?

Für Hunko ist diese Antwort „beschämend“. Er forderte die Regierung dazu auf, sie solle „menschenrechtlich Farbe bekennen“ und ukrainischen Männern auch ohne gültige Papiere Schutz gewähren, wenn sie sich dem Kriegsdienst in der Ukraine entziehen wollen. Der BSW-Politiker fügte hinzu:

„Es wäre fatal, wenn Deutschland nicht nur mit immer mehr Waffen, sondern nunmehr auch mit Zwangsrekrutierten den Krieg in der Ukraine weiter anheizen würde.“

Dienstpflicht für alle

Noch führt die Ukraine, die seit den 1990er Jahren die höchste Armutsquote in Europa aufweist, den Krieg gegen Russland stellvertretend für die NATO. Das könnte sich bald ändern. Um das deutsche Heer schnell kriegsreif zu bekommen, will die CDU die Wehrpflicht in leicht abgewandelter Form reaktivieren. In ihrem auf dem Parteitag abgesegneten neuen Grundsatzprogramm beschloss sie eine Dienstpflicht für junge Männer und Frauen. Dort heißt es:

„Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen.“

Dafür soll der deutsche Staat alle vom Alter her potenziell Wehrpflichtigen ermitteln. Die Bundeswehr solle festlegen, wie hoch ihr Personalbedarf sei. Fachleute müssten dann entscheiden, wer von den Registrierten tatsächlich zur Bundeswehr müsse. Der Rest werde zu einer Dienstpflicht anderer Art herangezogen.

Ein solches Modell favorisieren auch der Bundesverteidigungsminister Pistorius und der Chef des Bundeswehrverbandes, der Oberst André Wüstner. In einer ARD-Talksendung stimmte letzterer der CDU zu. Deutschland müsse die Daten aller Wehrfähigen „mit Blick auf den russischen Angriffskrieg“ einholen, erklärte er.

Wo ist die Opposition?

Die Opposition gegen eine zunehmende Militarisierung Deutschlands muss man im Bundestag unterdessen mit der Lupe suchen. Die Linkspartei formuliert ihre einstigen Rufe nach Abrüstung und einem Austritt Deutschlands aus der NATO immer zaghafter. Etwas vehementer, wohl aber längst nicht laut genug, meldet sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) zu Wort. Allerdings stellen beide Gruppen insgesamt gerade einmal 38 Abgeordnete, somit nur rund fünf Prozent des Deutschen Bundestages.

Auch die AfD geißelt die Kriegstreiberei gegen Russland und die Waffenlieferungen in die Ukraine. Andererseits plädiert sie aber für die Aufrüstung der Bundeswehr. Knapp die Hälfte ihrer Abgeordneten stimmte beispielsweise 2022 für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das inzwischen schon verplant ist.

Letzten Sommer beantragte die AfD-Fraktion, die Beschaffung von Militärausrüstung zu beschleunigen. Ein Jahr zuvor hatte sie gemeinsam mit den Ampel-Parteien und der Unionsfraktion für den Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO gestimmt. Letzten Monat sprach sie sich für weitere Waffenlieferungen nach Israel aus.

Zur allgemeinen Wehrpflicht will die AfD seit langem zurückkehren. Darin ist sie sich weitgehend einig mit der CDU. Im Jahr 2020 beantragte sie diesen Schritt im Bundestag. Im März dieses Jahres bekräftigte die Hamburger AfD-Fraktion nochmals diese Parteiposition.

Imperialistische Einheitsfront

Mit anderen Worten: Die imperialistische Einheitsfront im deutschen Parlament steht. Derzeit kann sie kaum etwas ins Wanken bringen. Damit das auch so bleibt, baut die „Ampel“ vor. Zum Beispiel mit repressiven Gesetzesnovellen: Schon jetzt kann verknackt werden, wer eine differenziertere Meinung zum Ukrainekrieg hat als die Regierung und das dann auch noch öffentlich verkündet.

Wer gegen die Regierung demonstriert, kann schnell als „Staatsdelegitimierer“ in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten. Oder die Bürokratie verbietet unliebsame Versammlungen gleich ganz und gar oder löst sie einfach unbegründet auf, wie kürzlich den Palästina-Kongress.

Mehr Überwachung, verschärfte Polizeigesetze – bis hin zu monatelangem Präventivgewahrsam: All das ist bereits real in Deutschland. Ohne breiten Widerstand der Bevölkerung wird sich diese Spirale wohl immer weiter und schneller in die diktatorische Richtung drehen.

Quelle: RT DE

Hinweis: Gastbeiträge geben immer die Meinung des jeweiligen Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Aufruf zum 8. Mai: Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus

Stimmen aus Deutschland zum Jahrestag der Befreiung

Eingabeformular für eigene Unterschriften

PDF-Fassung incl. russischer Übersetzung* – Online-Fassung der russischen Übersetzung

Vor 79 Jahren war der von Deutschland ausgegangene Raub- und Vernichtungskrieg endlich vorbei. Die Truppen der Alliierten hatten unser Land und Europa vom Faschismus befreit. Dafür sagen wir von ganzem Herzen: Danke!

Von den Siegermächten haben die Völker der Sowjetunion für diese Befreiung mit 27 Millionen Toten die Hauptlast getragen. Keine Familie, deren Mitglieder nicht als Soldaten, Partisanen, Arbeitende im Hinterland ihren Anteil daran hatte. Das Leid wie die Stärke Ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern bleiben unermesslich. Nichts und niemand darf jemals vergessen werden.

Dass trotzdem so viele Menschen in der Sowjetunion und in Russland bereit waren, Deutschen Vertrauen entgegenzubringen und gutnachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen, berührt uns tief.

Nach der deutschen Vereinigung gab es ein kurzes Zeitfenster, in Europa einen Raum des Friedens und der Zusammenarbeit von Lissabon bis Wladiwostok aufzubauen. Stattdessen dehnt sich die NATO bis an die Grenzen Russlands aus, es soll wieder unser aller Feind werden. Das ist nicht nur geschichtsvergessen, es ist brandgefährlich, bewegen sich doch NATO-Ausdehnung, die schwindelerregende Rüstungsspirale und der Krieg in der Ukraine dicht am Rand eines großen, umfassenden Krieges mit dem Potenzial, Europa in Schutt und Asche zu legen.

Das alles geschieht nicht in unserem Namen!

Von der Bundesregierung fordern wir: Stopp der Waffenlieferungen in den Ukraine-Krieg, diplomatische Initiativen ihn zu beenden, Schluss mit der Dämonisierung Russlands. Wir wollen kein Deutschland, das kriegstüchtig ist, es muss endlich nachhaltig friedensfähig werden.

Auf Druck unserer Regierung wurden die mannigfaltigen deutsch-russischen Partnerbeziehungen zwischen Städten, Universitäten, Schulen, Vereinen, Kultur- und vielen anderen Einrichtungen auf Eis gelegt oder ganz abgebrochen. Wir möchten sie von unten, von der Basis aus wiederbeleben, ganz nach Bertolt Brecht: „Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein“.

Frieden in Europa ist ohne Russland nicht zu machen. Wir engagieren uns für eine europäische Sicherheitsarchitektur, die die Sicherheitsinteressen eines Jeden gleichermaßen berücksichtigt, in der Konflikte im Sinne Immanuel Kants friedlich gelöstund Waffen überflüssig werden. Unser Planet ist zu verletzlich und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu gefährlich, als dass ein erneuter großer Krieg auch nur in den Bereich des Möglichen rücken darf.

Unterzeichnende mit Stand Veröffentlichung:

A Michael Aggelidis, dieBasis | Malte Albrecht, Vorsitzender NatWiss | Dieter Ammer, Friedensfreund | Dr. Mona Aranea, Sprecherin des Friedensbündnis NRW | Prof. Dr. Jörg Arnold, Internationale Liga für Menschenrechte | B Dr. Fritz Balke, Berlin | Cornelia Barth, AG Frieden und Antimilitarismus Bremen | PD Dr. Johannes Becker, Friedensforscher | Rolf Becker, Schauspieler | Olaf Beckers, Initiative ‚Montags in Moers‘ | Norbert Birkwald, VVN-BdA Frankfurt am Main | Peter Blechschmidt, VVN-BdA Chemnitz | Reiner Braun, International Peace Bureau (Initiative Frieden-links) | Raimon Brete, Chemnitz | Prof. Dr. Michael Brie, Philosoph | Heinrich Brücker, Anti-War-Café Berlin | Lea Campbell, | Isabelle Casel, PeaceLab Europe | D Sevim Dagdelen,MdB | Diether Dehm, Musiker | Wolfgang Dockhorn, Rot-Fuchs-Förderverein | Brigitte Dornheim, Deutsche Kommunistische Partei DKP | Hartmut Drewes, Pastor i.R., Bremer Friedensforum | E Andreas Eichner, Karl-Liebknecht-Kreis Brandenburg | Tino Eisbrenner, Songpoet | Rosa Engel, Friedensbündnis Mönchengladbach | F Renate Fest, Friedensforum Düsseldorf | Dieter W. Feuerstein, | Bernd Fischer, Bildhauer | Peter Franke,Vorsitzender der Deutschen Ost-West-Gesellschaften | Peter Franz, Kurator der jüdischen Gedenkstätte Prager-Haus in Apolda | Gerhard Fuchs-Kittowski, Deutscher Friedensrat | G Dr. Leo Gabriel, Institut für Interkulturelle Forschung und Zusammenarbeit Wien | Wolfgang Gehrcke, ehem. MdB (Initiative Frieden-links) | Karl-Heinz Gläser, Magdeburg | Bernd Gnant, Kühlungsborn | Annette Groth, ehem. MdB | Dr. Joachim Gruber,Physiker im RuhestandAndreas Grünwald, Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung | Joachim Guilliard, Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg | H Angelika Haas, DAS ANTIEISZEITKOMITEE | Klaus-Detlef Haas, Journalist | Gerd Habenicht, Energieberater | Jürgen Hagenguth, Duisburg | Prof. Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler | Cella Maria Halafi, | Dr. Werner Haltinner, AK Geschi | Kerstin Hanisch, Aktionskreis Frieden Troisdorf | Heike Hänsel, ehem. MdB (Initiative Frieden-links) | Hubert Heck, Freie Linke Aachen | Heidrun Hegewald, Malerin und Autorin | Barbara Heller, Bremer Friedensforum | Lühr Henken, Co-Sprecher Bundesausschuss Friedensratschlag | Dr. Günter Hering, Rostock | Rainer Hesse, Volkskorrespondent | Irene Himbert, Kampagne Stopp Air Base Ramstein | Philipp Hoffmann, Arbeitermusikarchiv Kassel | Gerd Hommel, ehem. Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee | Andrej Hunko, MdB | J Ulla Jelpke, ehem. MdB (Initiative Frieden-links) | Matthias Jochheim, IPPNW Frankfurt am Main | K Kristine Karch, Co-Sprecherin Netzwerk ‚No to war – No to NATO‘ (Initiative Frieden-links) | Jutta Kausch-Henken, Sprecherin Friedenskoordination Berlin | Metin Kaya, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft | Liane Kilinc, Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe | Malte Klingauf, Pax Terra Musica | Gisela und Helmut Kohlmann, | Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP | Hartmut König, Autor und Liedermacher, stellv. Kultusminister der DDR | Hermann Kopp, Marx-Engels-Stiftung | Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär. | Dr. W. Krieger, Philosophie + Mathematik | Peter Krips, Karl-Liebknecht-Kreis Rostock | Karl Krökel, Kreishandwerksmeister Dessau-Roßlau | Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz, Autorin | Dr. Dieter Kruse, AK Geschi | Prof. Dr. Karin Kulow, Nahost- und Islamwissenschaftlerin (Initiative Frieden-links) | Günter Küsters, attac Bundes-AG „Globalisierung und Krieg“ | L Oskar Lafontaine, Publizist und Politiker | Michael Lang, Kampagne Stopp Air Base Ramstein | Prof.Dr. Anton Latzo, Historiker | Dr. Helga Lemme, Bürgerinitiative Gute Nachbarschaft mit Russland Leipzig | Gisela Lingenberg, Arbeitskreis Frieden der Berliner VVN-BdA | Dr. Marianne Linke, ehem. Sozialministerin | Sonja und Walter Listl, München | Anja Lücke, Harz | Ingeborg und Dr. Dieter Luhn, AK Geschi | Pascal Luig, NatWiss (Initiative Frieden-links) | M Andreas Maluga, DDR-Kabinett in Bochum | Henry und Andrea Marek, Friedensbündnis Schwerin | Matthias Marterer, Fulda | Prof. Dr. Roswitha März, Mathematikerin, Absolventin der Leningrader Universität | Karin Masche, Kommunalpolitikerin Fulda, Partnerstadt von Sergiew Possad | Birgit und Klaus Meier, WasTun? Niedersachsen | Gerhard Mertschenk, Gesellschaft für Frieden und internationale Solidarität | Anja und Bernd Mewes, Friedensglockengesellschaft Berlin | Renate und Jürgen Müller, Deutsch-Chinesischer Freundschaftsverein | N Mike Nagler, Filmfestival GlobalE | Prof. Dr.John Neelsen, Hochschullehrer | Dr. Alexander Neu, ehem. MdB (Initiative Frieden-links) | Frithjof Newiak, Chemnitz | Sonja Newiak, Chemnitz | O Willi van Ooyen, Co-Sprecher Bundesauschuss Friedensratschlag (Initiative Frieden-links) | Lajos Orban, Die Unbeugsamen – Linke Sammlungsbewegung | Kathrin Otte, Netzwerk Was Tun? | P Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, ehem. MdB (Initiative Frieden-links) | Dr. Inge Pardon, Berlin | Dr. Artur Pech, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Kreistag Oder-Spree | Karl Heinz Peil, Friedens- und Zukunftswerkstatt Frankfurt am Main (Initiative Frieden-links) | Dr. med. Ingrid Pfanzelt, Ärztin | Karin und Burkhard Pflug, Karl-Liebknecht-Kreis Sachsen-Anhalt | Gina Pietsch, Sängerin | Ursula und Dr. Rüdiger Preuße | Gerdt Puchta, Karl-Liebknecht-Kreis Mecklenburg-Vorpommern | R Achim Reichardt, Botschafter a.D. | Christiane Reymann, Publizistin (Initiative Frieden-links) | Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaftler, Friedensforscher (Initiative Frieden-links) | S Gudrun und Hans Sauer, Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung | Dr. Lidia Schewtschenko | Friederike Schlegel, Verein Friedensbrücke- Kriegsopferhilfe | Dr. Gisela Schleife, | Torsten Schleip, Friedenszentrum Leipzig, Kooperation für den Frieden | Lothar Schlüter, Berliner Freunde der Völker Russlands | Thomas Schmidt, Rentner | Jochen Scholz, ehem. Oberstleutnant der Bundeswehr | Manfred Schönebeck, Psychologischer Psychotherapeut | Prof. Dr. Wilfried Schreiber, Militärökonom | Jürgen Schuh, Sprecher der VVN-BdA Düsseldorf | Conrad Schuhler, Publizist | Gerd Schulze, | Jürgen Schütte, Friedensbündnis NRW | Dr. Dr. h.c. Arne Seifert, Botschafter a.D. | Regina Silbermann, Freidenkerverband Sachsen | Peter Sörgel, ehem. Konzernbetriebsratsvorsitzender | Norbert Staffa, Verein der Erzgebirgsfreunde Russlands | Maria Anna Steenken,InformatikerinManfred Steglich, Aufstehen Bremen | Alexej Stoljarow, Videoproduzent | Marina Stroisch, AG Deutsch-Russische Freundschaft in der Partei DIE LINKE Sachsen | Elisabeth Sukowski-Pfohlmann, | T Waltraud Teige, Kommunistische Plattform DIE LINKE | Hannelore Thürfelder, AK Geschi | Bea Trampenau, Geschäftsführerin Antifaschistische Begegnungsstätte Heideruh | Bernhard Trautvetter, Essener Friedensforum (Initiative Frieden-links) | Mathias Treschog, Menschenrechts- und Friedensaktivist | V Jürgen Vogelsang, Kommunistische Plattform in der Partei DIE LINKE | WWW Roland Wanitschka, Personalrat | Dr. Matthias und Marion Werner, Berlin | Bodo Weser, | Martin Winter, Tangermünde | Britta Wollenweber, Redakteurin | Dr. Karl-Heinz Wollner, | Z Olaf Zimmer, AG Frieden und Antimilitarismus Bremen.

Verwendete Abkürzungen
AG: Arbeitsgemeinschaft
AK: Arbeitskreis
AK Geschi: AK Geschichte der Jugendhochschule „Wilhelm000 Pieck“
NatWiss: Naturwissenschaftlerinitiative verantwortung für Frieden und  Zukunftsfähigkeit
IPPNW: International Physicians for the Prevention of Nuclear War
MdB: Mitglied des Bundestages
NRW: Nordrhein-Westfalen
VVN-BdA: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten


* Die pdf ist in DIN A4 layouted und kann als Broschüre (wenn der Drucker das kann, 2 Seiten auf 1, doppelseitig) ausgedruckt werden und kann dann auf DIN A5 zusammen gefaltet werden.

Beitragsfoto: ©Claus Stille

Ein realistisches Verhandlungskonzept von Harald Kujat

Gegen Kriegshysterie und Größen-Vorstellungen vom Sieg der Ukraine durch mehr Waffen.     Gegenüber der Bundesregierung hat der einflussreiche General a.D. Harald Kujat jüngst (in PAZ, 2.5.24) eine konkrete Strategie zur Beendigung des Ukrainekriegs angemahnt, die sich gegen die sich ausbreitende Kriegshysterie über einen angeblich in wenigen Jahren bevorstehenden russischen Angriff auf NATO-Staaten wendet und vor […]

Ein realistisches Verhandlungskonzept von Harald Kujat

„Germafia“ von Sandro Mattioli. Die Mafia und das „ahnungslose Deutschland“. Rezension

Mafia – bei dem Wort kommen einem sofort Erinnerungen an gewisse Filme in den Sinn. Wie etwa „Der Pate“ oder dergleichen mehr. Und klar: Man denkt auch sofort an Italien. Manche Menschen haben vielleicht auch schon davon gehört, dass die USA, nachdem sie im Zweiten Weltkrieg in Italien gelandet waren, auch die Mafia benutzten und gewissermaßen deren Aufstieg nach 1945 beförderten.

Nun aber zum hier zu besprechenden Buch „Germafia. Wie die Mafia Deutschland übernimmt“ von Sandro Mattioli. Deutschland – mögen Sie, liebe Leserinnen und Leser da denken – was hat Deutschland mit der Mafia zu tun?

Als ich das Buch in die Hand bekam, musste ich sofort an die 1990er Jahre denken, als ich frisch nach Dortmund gekommen war. Ich lebte damals dort in der Nordstadt. Einem Stadtteil in der ein buntes Völkergemisch lebt. Hinter den Bahngleisen, die die besseren Stadtviertel von einem Stadtgebiet schieden und nach wie vor scheiden, wo eine ärmere Bevölkerung mit all den damit verbundenen Problemen lebt.

Dies war schon in Zeiten der Industrialisierung so, wo viele Arbeiter aus Polen der Arbeit und dem Geldverdienen wegen in den Steinkohlenzechen und der Stahlindustrie nach Dortmund gekommen waren. Und später kamen die ersten Gastarbeiter aus Italien, Griechenland und der Türkei in eben diesen Stadtbezirk. (Anbei zum Dortmunder Norden)

In meinen ersten Jahren in diesem Stadtteil fiel mir irgendwann auf, dass auf auf einer belebten und vielbefahrenen Straße dort in beiden Fahrtrichtungen und darüber hinaus in den Nebenstraßen eine Vielzahl von Pkws parkten. Manche sogar im Parkverbot. Was mich verwunderte. Weder Ordnungsamt noch Polizei schien das auf den Plan zu rufen. Stutzig machte mich vor allem, dass die Autos allesamt italienische Kennzeichen trugen.

Da ich die Straße oft benutzte, fiel mir auf, dass sich die Fahrer dieser italienischen Autos allesamt in einem italienischen Café auf eben dieser Straße trafen. Eines Abends wagte ich mich in dieses Café hinein und bestellte ein Bier. Man blickte mich an und sprach dann weiter laut Italienisch miteinander. Dass mit den Autos und den Italienern ging noch eine ganze Weile so weiter, bis das Café irgendwann schloss. Klar, dass sich mir damals der Gedanke aufdrängte: Mafia. Keine Ahnung, ob da etwas dran war.

Letztes Jahr fragte ich die Schriftstellerin Petra Reski – welche sich intensiv mit der Mafia-Problematik beschäftigt – auf einen ihrer Beiträge hin, ob an meinen damaligen Eindrücken etwas dran gewesen sein könnte. Zu diesem genauen Fall konnte sie nichts sagen. Jedoch war ihr bekannt, dass damals die Mafia auch im Ruhrpott agierte.

Es konnte freilich auch um den  Handel von unverzollter Kleidung gegangen sein. Mir fiel ein, dass ich damals in einigen der italienischen Wagen stapelweise Lederklamotten gesehen hatte, die die Männer offenbar irgendwo zu verticken gedachten.

Wie auch immer. Die Mafia ist da. Und arbeitet in Deutschland. Und immer wieder ist von Leuten, die sich damit befassen, zu hören, dass sich die BRD als  bevorzugtes Land geradezu dafür geradezu anbietet. Polizeilich wie juristisch fehlen hierzulande – im Gegensatz zu Italien – nicht selten die Mittel, um die Mafia wirksam zu bekämpfen. Worauf der Autor des Buches auch eingeht.

Eines gilt: Anders als in ihrem Herkunftsland töten die Clans der italienischen Mafia in Deutschland nur selten. Ein Ausnahme dürften die „Mafiamorde von Duisburg“ von 2007 darstellen: „Als Mafiamorde von Duisburg wurde ein Ereignis bekannt, bei dem in den Morgenstunden des 15. August 2007 sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant in Duisburg erschossen wurden. Aufgrund seiner Brutalität sorgte der Fall auch im Ausland für großes Aufsehen. Hintergrund der Tat war die Fehde zweier verfeindeter ’Ndrangheta-Familien. Der Haupttäter wurde im März 2009 in Amsterdam verhaftet und später nach Italien ausgeliefert. Am 12. Juli 2011 wurde er vor einem Geschworenengericht im kalabrischen Locri zu lebenslanger Haft verurteilt.[1]“ Quelle: Wikipedia

Die ´ndrangheta stammt aus Kalabrien und hat ihr Zentrum im Bergdorf San Luca.

Diese Mafia bleibt hierzulande nahezu unsichtbar. „Ihre Waffe“, heißt es zum Buch, „ist Geld, ihr Ziel die gesellschaftlichen Institutionen. Gerade deswegen bilden sie ein immenses Risiko für ganz Europa, zeigt der Journalist Sandro Mattioli in seinem neuen Buch „Germafia. Wie die Mafia Deutschland übernimmt“. Mattioli hat sich vor vielen Jahren auf den Weg gemacht, um die große Gefahr zu ergründen, die von Mafiaclans in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgeht. 

Aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen, Mafia-Aussteigern, Polizisten und Staatsanwälten weiß der Journalist und Mafia-Experte, dass die Mafiosi das „ahnungslose Deutschland“ als ihre Beute sehen und längst begonnen haben, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gezielt zu unterwandern.

Ein enger Weggefährte und Freund Mattiolis wurde dabei Luigi Bonaventura, ein ehemaliger Clan-Boss der derzeit mächtigsten Mafia: der kalabrischen ’ndrangheta. Heute sagt der Ex-Mafioso als Kronzeuge gegen seine einstigen Partner aus. Auf ihrer gemeinsamen Mission sind Mattioli und Bonaventura in Antimafia-Vereinen aktiv, um die Menschen für die Gefahr zu sensibilisieren: Nicht nur die Politik, sondern die gesamte Zivilgesellschaft wird benötigt, um die Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität zurückzudrängen.

Von diesem Kampf, von einer unglaublichen Freundschaft und davon, wie er die Mafia an Orten fand, wo niemand sie vermuten würde, erzählt Mattioli in diesem augenöffnenden Buch.“

Dies alles ist spannend erzählt und offenbart uns Lesern sozusagen einen Blick hinter die Kulissen. Es wird aufgezeigt, wie brutal schon die Erziehung eines Sohnes in einer Mafia-Familie vonstatten geht. Und uns wird vor Augen geführt, wie schwer ein Leben für Mafia-Aussteiger – vor allem für die Familie, die Kinder – ist. Die zwar vom italienischen Staat unterstützt und mit einer neuen Identität ausgestattet werden, dennoch aber immer in der Gefahr leben, die wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt, entdeckt und ermordet zu werden.

Mir scheinen die im Buch aufgezeigten Möglichkeiten der Organisierten Kriminalität bzw. die Information darüber, wie der beizukommen wäre sehr wichtig. Die Hoffnung, dass dies über kurz oder lang nachhaltig gelingt, schätze ich als eher gering ein. Zumal ja der seit Langem herrschende Marktradikalismus oder Raubtierkapitalismus – wie immer man es auch definieren will – kommt eigentlich dem Ansinnen der Mafia m.E. ganz gut zu passe. Nicht zuletzt ist ja auch die Politik dadurch beherrscht und beschränkt sich in ihren Mitteln dagegen zu agieren selbst, bzw. wird beschränkt. Der Autor tönt ja durchaus auch an, dass es Verstrickungen der Politik mit der Mafia durchaus gegeben haben kann und auch weiter gibt. Im Notfall können diesbezüglich Verdächtige dann immer noch sagen, mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Womöglich sogar wahrheitsgemäß. Denn bestimmte Leute laufen sich ja immer irgendwo in der Gesellschaft – in Nobelrestaurants oder bei Veranstaltungen – in der sie verkehren über den Weg. Und wenn es um große Gelder geht, die es zu vergeben gibt, da dürfte auch die Mafia – wie von einem Magnet angezogen – rasch in der Spur sein. Anzugträger, die Highsociety sind unter sich. War da was mit Günther Oettinger? Alles nur Gerüchte? Klar.

Und ist unter diesen Gesellschaften ein Vertreter der Mafia dabei, dann trägt der freilich kein Schildchen am Revers des Sakkos, das ihn als Mafiosi ausweist und auch kein Holster mit einer Waffe darunter. Die schärfste Waffe ist ohnehin das große Geld. Man kennt sich und schätzt sich. Eine Hand wäscht gewöhnlich die andere. Darauf kommt es an. Wird sich daran je etwas ändern? Erst recht unter den herrschenden Politikern, die derzeit die Leader in der westlichen Welt spielen (dürfen)? Und die Werte, welche dieser Westen stets wie eine Monstranz vor sich herträgt? Welche davon sind überhaupt noch vorhanden? Man schaue sich nur die EU, deren Zustand und das Agieren einer Frau Ursula von der Leyen an, gegen die inzwischen u.a. die belgische Justiz ermittelt.

Eingangs des interessanten Buches finden wir folgendes Zitat, das wohl als Aufmunterung und Hoffnung verstanden werden will des italienischen Liedermachers Vinicio Caposella:

„Auf Züge, die bereits abgefahren sind, kann man nicht aufspringen, man kann ihnen aber lange hinterherlaufen“

Da drängen sich gerade im „ahnungslosen Deutschland“ Fragen auf: Wer hat die Puste dafür? Und: Wo laufen sie denn? Wo laufen sie denn hin? Vielleicht in die falsch Richtung, weil man irgendein Lichtlein am Ende eines Tunnels gesehen haben will?

In der Beschreibung zum Buch heißt es: „Es ist höchste Zeit, zu verhindern, dass die Mafia Deutschland übernimmt.“

Wäre man jetzt ein Martin Sonneborn könnte man jetzt ketzerisch kontern: Ist das nicht längst schon geschehen? *Zwinkersmiley*

Aber, liebe Leserinnen und Leser, wittern Sie nicht gleich hinter jedem Pizzabäcker und jeden italienischem Eisverkäufer die Mafia.

Zum Autor:

Der Journalist Sandro Mattioli, geb.1975, arbeitet seit 2009 zur italienischen Mafia in Deutschland. Er traf seitdem viele Kronzeugen und Staatsanwälte und sprach mit unzähligen Ermittlern und Angehörigen von Mafia-Opfern. Mattioli ist Ansprechpartner für die Politik, Interviewpartner für Medien und hält regelmäßig Vorträge. Der Deutsch-Italiener berät Serien-, Podcast und Filmproduktionen, darunter einen der erfolgreichsten Podcasts des Jahrs 2023, „Mafia Land“, und eine für drei Emmys nominierte Doku von Vice News. Seit 2012 ist er Vorsitzender des Vereins mafianeindanke in Berlin. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen engagiert er sich, damit Mafiaclans und Organisierte Kriminalität besser bekämpft werden, und erhält so vielfältigen Einblick in die politische Arbeit.

Aus dem Buch:

„Am Abend suchte ich vor meiner Unterkunft in den Bergen Ruhe. Hier oben war die Luft frischer als unten in der Stadt, wo das Meer nicht fern war. Der Kerl war mir sympathisch. Durfte das sein? Ich war verwirrt. Von der Hand, die Luigi mir hingestreckt hatte, hatte er einst fremdes Blut gewaschen. Auch für ihn musste dieser Tag verwirrend gewesen sein, war er doch erzogen worden, über die Mafia zu schweigen, und jetzt tat er genau das Gegenteil.

Als Gesamtzahl aller Mitglieder von Gruppen der Italienischen Organisierten Kriminalität in Deutschland ergeben sich für das Jahr 2022 genau 1003 Personen: eine Rekordzahl! Wir tendieren dazu, die ’ndrangheta als etwas Statisches wahrzunehmen. Doch das ist falsch, sie ist eine Organisation in konstantem Wandel. Dieser Wandel liegt in verschiedenen Motiven begründet: in einer gewollten Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten, an neue Gesetze, neue Geschäftsfelder oder aus geostrategischen Überlegungen. Dazu kommen nicht geplante Veränderungen, neue Clans, die entstehen, etablierte Clans, die ihre Aktivitäten einstellen. Der italienische Staatsanwalt Giuseppe Lombardo sagte einst: „Das Problem ist nicht, die Mitglieder zu zählen. Das Problem sind die, die von den Mafiosi profitieren.“

Für eines unserer Treffen hatte Luigi eine Ladung rausgesucht und legte sie vor mir auf den Tisch. „Staatsanwaltschaft Stuttgart“ stand oben auf dem Briefbogen: die Stadt, in der ich damals lebte. Es war die kürzeste Vernehmung, die er je erlebt habe, sagte Luigi.“

Kalabrische ’ndrangheta
 

Sandro Mattioli

Germafia

Erscheinungstermin 06.05.2024
Einbandart kartoniert
Seitenanzahl 368
ISBN9783864894350
Preis inkl. MwSt.24,00 €

inkl. 7% MwSt. zzgl. VersandkostenGratis Versand innerhalb Deutschlands ab 24,– € BestellwertLieferzeit: 2 – 4 Werktage*

In Deutschland leben nach offiziellen Angaben über 1000 Mafiosi, italienische Staatsanwälte sprechen indes von mehreren Tausend. Aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen, Mafia-Aussteigern, Polizisten und Staatsanwälten weiß der Journalist und Mafia-Experte Sandro Mattioli, dass die Mafiosi das „ahnungslose Deutschland“ als ihre Beute sehen und längst begonnen haben, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gezielt zu unterwandern. Vor allem die kalabrische ’ndrangheta operiert dabei höchst strategisch. Doch der deutsche Staat unternimmt kaum etwas dagegen. Warum ist das so? Detailliert und anschaulich berichtet Mattioli von seinen Recherchen, von Einschüchterungen und Mafia-Aktivitäten in deutschen Institutionen und Bereichen, wo man sie bisher nicht vermutet hätte. Es ist höchste Zeit, zu verhindern, dass die Mafia Deutschland übernimmt.

Zum Dokumentationszweck: Aufruf der Deutschen Friedensbewegung

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

Stimmen aus Deutschland zum Jahrestag der Befreiung

Vor 79 Jahren war der von unserem Land ausgegangene Raub- und
Vernichtungskrieg endlich vorbei. Die Truppen der Alliierten hatten das vollbracht, wozu das deutsche Volk nicht fähig und in Teilen nicht willens gewesen war, sie hatten Deutschland und Europa vom Faschismus befreit. Dafür sagen wir von ganzem Herzen: Danke!

Von den Siegermächten haben die Völker der Sowjetunion für diese Befreiung mit 27 Millionen Toten die Hauptlast getragen. Keine Familie, deren Mitglieder nicht als Soldaten, Partisanen, Arbeitende im Hinterland ihren Anteil daran hatte. Das Leid wie die Stärke Ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern bleiben unermesslich.
Nichts und niemand darf jemals vergessen werden.

Dass trotzdem so viele Menschen in der Sowjetunion und in Russland bereit waren, Deutschen Vertrauen entgegenzubringen und gutnachbarschaftliche Beziehungen
aufzubauen, berührt uns tief.

Nach der deutschen Vereinigung gab es ein kurzes Zeitfenster, in Europa einen Raum des Friedens und der Zusammenarbeit von Lissabon bis Wladiwostok aufzubauen. Stattdessen dehnt sich die NATO bis an die Grenzen Russlands aus, es soll wieder unser aller Feind werden. Das ist nicht nur geschichtsvergessen, es
ist brandgefährlich, bewegen sich doch NATO-Ausdehnung, die
schwindelerregende Rüstungsspirale und der Stellvertreterkrieg in der Ukraine dicht am Rand eines großen, umfassenden Krieges mit dem Potenzial, Europa in Schutt und Asche zu legen.

Das alles geschieht nicht in unserem Namen!
Von unserer Regierung fordern wir: Stopp der Waffenlieferungen in den Ukraine-Krieg, diplomatische Initiativen ihn zu beenden, Schluss mit der Dämonisierung Russlands. Wir wollen kein Deutschland, das kriegstüchtig ist, es muss endlich
nachhaltig friedensfähig werden. Auf Druck unserer Regierung wurden die mannigfaltigen deutsch-russischen Partnerbeziehungen zwischen Städten, Universitäten, Schulen, Vereinen, Kultur-
und vielen anderen Einrichtungen auf Eis gelegt oder ganz abgebrochen. Wir möchten sie von unten, von der Basis aus wiederbeleben, ganz nach Bert Brecht: „Reden erst die Völker selber werden sie schnell einig sein“.

Denn Frieden in Europa ist ohne Russland nicht zu machen. Wir engagieren uns für eine europäische Sicherheitsarchitektur, die die Sicherheitsinteressen eines Jeden gleichermaßen berücksichtigt und in der Waffen überflüssig werden. Unser Planet ist zu verletzlich und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu
gefährlich als dass ein erneuter großer Krieg auch nur in den Bereich des möglichen rücken darf.

Text: Christiane Reymann, vorgelesen von Anja Mewes am Elbe-Tag in Torgau am 27.04.24.

Rede Klaus Hartmann, Vizevorsitzender Freidenker-Verband:

https://www.facebook.com/share/p/d28PRF3F1Vy3tZzE/

Rede Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP

Beitragsfoto: Claus Stille

Neue Studie der Deutschen Aidshilfe beweist: Nicht die Sexarbeit an sich ist ein Problem – es braucht bessere Arbeitsbedingungen!

BesD e. V. | Berufsverband Sexarbeit

11. April 2024/in Infos vom BesD, POLITIK, Pressemeldungen/von Lilli

Quelle: Pressemitteilung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen vom 11.04.2024 (PDF-Version).


Donnerstag, 11. April 2024. In dem vom Gesundheitsministerium geförderten Forschungsprojekt untersuchte die Deutsche Aidshilfe die gesundheitlichen Bedarfe von Sexarbeiter*innen in Deutschland – die Ergebnisse wurden nun veröffentlicht: “Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?”

Die Ergebnisse der Studie sind nicht nur für die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge bei Sexarbeiter*innen wichtig, sondern auch für die Arbeit an politischen Lösungen von großer Bedeutung.

Insbesondere zeigt die Studie die große Bandbreite von Sexarbeit sowie die unterschiedlichen Motivationen von Sexarbeitenden.

“Das Schubladendenken von in der Sexarbeit tätigen Menschen als entweder ‘unfreiwillige Prostituierte’ oder ‘selbstbestimmte Sexarbeiter*in’ wird deutlich als Trugschluss widerlegt. Die Studienergebnisse decken die Komplexität in der Sexarbeit auf und bestätigen somit die Notwendigkeit eines differenzierten Vorgehens in der Problembekämpfung.” (Kolja-André Nolte)

Der BesD begrüßt die partizipative Umsetzung der Studie, in deren Rahmen einer zentralen Forderung der Hurenbewegung – „Redet mit statt über uns“ – nachgekommen wurde: Endlich gibt es eine umfangreiche Untersuchung, die wissenschaftlichen Standards entspricht und Sexarbeitende mit einbezieht.

Positiv hervorzuheben ist außerdem die Auswahl und Diversität der Fokusgruppen.

Die Aidshilfe hat sich bewusst mit jenen Kolleg*innen beschäftigt, die unter teils prekären Bedingungen der Sexarbeit nachgehen und oftmals schwer zu erreichen sind. Es wurden unterschiedliche soziale und ethnische Herkünfte, sowie erstmals in dieser Größenordnung auch Sexarbeitende aller Geschlechter befragt.

Als Kernprobleme wurden von den Betroffenen Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt, finanzielle und existenzielle Not, psychische Belastung in Zusammenhang mit erlebter Stigmatisierung sowie Kriminalisierung und fehlende Legalität identifiziert.Die „elf Empfehlungen zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Gesundheitsbedingungen von Sexarbeiter*innen“ unterstützt unser Verband zu 100%.

Die Befragten bewertetem nicht ihre Tätigkeit – die Sexarbeit – als Problem; sie kritisierten aber die teilweise schlechten Bedingungen, unter denen sie arbeiten (müssen).

Die in der Studie beschriebene zunehmende Nachfrage nach Sex ohne Kondom kann der BesD leider bestätigen. Der Zwang zum illegalen Arbeiten sowie eine geringere Nachfrage führten insbesondere während der Corona-Arbeitsverbote dazu, dass auch Kundschaft und Wünsche angenommen werden mussten, die sonst abgelehnt werden. Dies belegt auch eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen: “Nordisches Modell auch in der Mitte Europas? – Auswirkung der Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution”

Die Studie weist  nach, dass Illegalisierung sowie Stigmatisierung starke psychische Belastungen auslösen und somit gesundheitsschädigend sind.

Ebenfalls stellte sich heraus, dass Personen außerhalb des mann-männlichen Sexarbeitsspektrums über die Schutzmethoden PreP bzw. Pep nicht ausreichend aufgeklärt sind. Hintergrund sind zum einen die mangelnde Aufklärung und zum anderen die Frage der Kostenübernahme. Die Angebote werden hier nun verstärkt.

Die beiden untersuchten Sondergesetze sieht auch der BesD kritisch: Wir halten die Anmeldepflicht laut Prostituierten Schutz Gesetz für den falschen Ansatz, um Sexarbeitende zu schützen. Wir sprechen uns für eine vollständige Abschaffung der Sperrbezirksverordnungen sowie für eine Vereinfachung der baurechtlichen Genehmigungsverfahren für Prostitutionsstätten aus – es handelt sich dabei um sichere Arbeitsplätze.

 „Wir sehen in dieser Studie eine solide Basis, um die aufgeheizte Diskussion bezüglich neuer Regelungen und Gesetze für die Sexarbeit zu versachlichen.“ (Johanna Weber)


Ihr Kontakt für Nachfragen:
Politische Sprecherin | Johanna Weber | johanna.weber@besd-ev.de | 0151 – 1751 9771
Pressesprecher | Kolja-André Nolte | kolja.nolte@besd-ev.de | +49 1577 7555040

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Beitragsfoto/Repro: Prostituierte in der Dortmunder Linienstraße, gemalt von Bettina Brökelschen