Ruhrfestspiele Recklinghausen mit bewegender „Hommage an Maximilian Schell“

"Hommage an Maximilian Schell" - Programmzettel Ruhrfestspiele; Foto: C.-D. Stille

„Hommage an Maximilian Schell“ – Programmzettel Ruhrfestspiele; Foto: C.-D. Stille

Am 15. Juni gingen die Ruhrfestspiele 2014 zu Ende. An diesem Sonntag sollte er lesen: Der große Maximilian Schell. Aus seiner Autobiographie „Ich fliege über dunkle Täler“. Als die diesjährigen Ruhrfestspiele beschließender Programm-Höhepunkt war diese Lesung gedacht. Es kam bekanntlich anders. Anfang des Jahres ist der legendäre Charakterdarsteller, Regisseur und Schriftsteller Maximilian Schell von der Weltbühne abberufen worden. Um fortan woanders besetzt zu sein?

Leitung der Ruhrfestspiele reagierte schnell

Die Leitung der Ruhrfestspiele Recklinghausen hat seinerzeit nach dem Erhalt der Todesnachricht schnell reagiert. Man kündigte eine Hommage an Maximilian Schell an, organisierte diese und richtete sie ein.

„Lieben Sie Schell …“

Am Sonntagvormittag nun war es soweit: Die avisierte Hommage wurde unter dem Titel „Lieben Sie Schell …“ auf der Bühne des Ruhrfestspielhauses präsentiert. Der Titel spielt auf die Inszenierung „Lieben Sie Strindberg …“ von Ruhrfestspielchef Frank Hoffmann an. Darin im Jahre 2009 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen zu sehen: Maximilian Schell. Nebenbei bemerkt: Ein Erlebnis, damals diesen vielseitigen Künstler einmal life erlebt haben zu dürfen …

Für die Hommage konnten Kollegen und Familienmitglieder gewonnen werden

Festspielleiter Frank Hoffmann – der Schell in den letzten Jahren künstlerisch und menschlich sehr verbunden war – ist es prächtig und mit viel Fingerspitzengefühl gelungen, ein Programm für eine Hommage an Schell zu kreieren. Dafür konnte Hoffmann enge Vertraute und Kollegen des großen Künstlers, sowie Familienmitglieder  gewinnen, um mit ihnen gemeinsam mit dem Publikum Abschied von Maximilian Schell zu nehmen.

Erzählungen, Anekdoten, Fotografien und Filmausschnitte  aus dem reichhaltigen Leben des Künstlers

Nachdem die Saalbeleuchtung sanft verloschen war, glimmte die Szenenbeleuchtung zurückgenommen auf. Ein Flügel, Stühle, ein Tisch und ein paar Mikrofone. Die dann jeweils rezitierenden Personen wurden jeweils nur im Moment ihres Auftritts beleuchtet. Stille Auf- und Abtritte. Gespannte Ruhe im Saal.  Hinter der Szene auf eine Leinwand projiziert das Konterfei Maximilian Schells. Wie man ihn kannte: mit einen um den Hals geschlungenen Schal.

Mit „Lieben Sie Schell…“ hat man es verstanden, anhand von Erzählungen, Anekdoten, Fotografien und Filmausschnitten die verschiedenen Facetten des Menschen und des Künstlers Maximilian Schell noch einmal Revue passieren zu lassen.

Festspielintendant Hoffmann sagte jeweils das Nötigste an, stellte vor oder ergänzte. Der Schauspieler Christian Wolff trug „Die Klage der Engel und Blick zurück ohne Zorn“ aus Schells Autobiographie „Ich fliege über dunkle Täler“ vor.

Der Engel mit dem schwarzen Schal

Berührend der Vortrag von Maximilian Schells Neffe Oliver Schell. Schell ersetzte ihm offenbar den Vater, der keine Zeit für ihn hatte. Der Onkel sei immer für ihn da gewesen. Für Oliver Schell war er der Engel mit dem schwarzen Schal. Der Onkel, selbst manchmal von Depressionen erfasst, habe immer verstanden Mut zu machen: Arbeiten, so meinte der Onkel, sei gut gegen derlei düstere Anwandlungen.

Andrea Glanz-Schell, Oliver Schells Frau, trug einen Text von Margarethe Schell von Noé, der Mutter Maximilian Schells, vor.

Der Schauspieler Wolfram Koch las aus Schells Autobiographie eine Passage vor.  In welcher erzählt wird, wie der junge Maximilian Schell mit dem Filmstar Marlon Brando zusammentraf. Schell war damals im Film „Die jungen Löwen“ als deutscher Offizier besetzt worden. Schells da noch schlechtes Englisch hatte Anlaß zu Heiterkeit gegeben. Brando musste vor Lachen eine  Szene abbrechen. Von da an hatte aber Brando ein Narren an dem Schell  gefressen. Machte ihm sogar ein Buch zum Geschenk.

Ein Filmausschnitt von „Die jungen Löwen“ (Regie: Edward Dmytryk) führte noch einmal deutlich vor Augen, welch hervorragendes Schauspieltalent schon in dem jungen Schell schlummerte und zur Wirkung kam.

Das Klavier in Marias Zimmer

Der Drehbuchautor Steffen Lerchner, der eng mit Maximilian Schell zusammenarbeitete, sprach über das Haus von Maria Schell, Maxmilians große Schwester. Erzählte, das ihr Bruder das ohne Innenwände gebaute Zimmer der Schell unter dem Zimmer lag, in welchem Schell und Lerchner an einem Drehbuch arbeiteten. Als es erforderlich wurde, ein Klavierstück erklingen zu lassen, um die Wirkung zu erkunden, stellte sich heraus, dass das einzige Klavier in Marias Zimmer stand. Dies jedoch war noch deren Tod versiegelt und galt als tabuisiert. Schließlich aber, so Lerchner, schloss es Maximilian Schell auf. Alles war so wie im Augenblick ihres Todes der Maria Schell verblieben. Sogar die Kuhle im Bett, die Maria Schells Körper hinterlassen hatte, war so gelassen worden. Schließlich habe sich Maximilian Schell an das Klavier gesetzt und gespielt. Im Spiel habe er das Drehbuch vergessen …

Iva Mihanovic-Schell, Maximilian Schell Witwe, sang, auf der Gitarre begleitet von Oliver Schell, ein Lied aus „Die Brücke“.

Ulrich Kuhlmann und Jaqueline Macaulay tauchten dann wieder in „Ich fliege über dunkel Täler“ ein und lasen davon, wie eine Begegnung Maximilian Schells mit der großen Judy Garland – die zusammen drehten – verlief. Die Filmpartnerin hatte ihn aufgefordert in einer Szene sehr hart zu ihr zu sein. Schell aber hatte Bedenken: Er, ein junger unbekannter Schauspieler sollte noch dazu eine Frau und bekannte Schauspielerin anschreihen?! Letztlich funktionierte es: Garland war in der Stimmung, die sie für die Szene brauchte.

Über die Leinwand flimmerte die Szene aus „Das Urteil von Nürnberg“ (Regie: Stanley Kramer). Für seine Rolle bekam Schell seinerzeit den Oskar. Schell: Grandios!

Nach dem Drehen hatte er sich, wie Schell schreibt, dazu verstiegen die Garland zum Essen einzuladen. Mit einem Leihwagen sei sie mit ihm am Meer entlang gefahren. Plötzlich war im Autoradio „Over the Rainbow“ (Einspielung im Saal), gesungen von Judy Garland erklungen. Ein ganz besondere Stimmung habe sich sofort über sie gesenkt. Dann aber als die schrecklichen Commercials, die Werbeeinspielungen, übers Radio kamen, hatte Schell weitergekurbelt. Und plötzlich ein Klassiksender gefunden. Mozart erklang! Garland fasziniert: „Wer ist das?“ Schell: „Mozart.“ Judy Garland hatte nie Mozart gehört. Schell schreibt: Sie nahmen einander die Hände. Garlands Hand sei nass gewesen. So ergriffen hatte sie offenbar Mozart…

Rainer Klaas am Flügel spielte zwischendurch die Sätze 1 und 3 von Beethovens Mondscheinsonate.

Ein Brief am Grab

Der bildende Künstler Ben Willikens verlas einen bewegenden  Brief an Maximilian Schell, den er nur noch an dessen Grab übermitteln konnte. Festspielleiter Frank Hoffmann erinnerte daran, wie er Schell erstmalig in Willikens Atelier er traf. Und sich dann aus dieser Begegnung eine gute Zusammenarbeit entwickelte.

Schell und die Dietrich

Später erfahren die Zuschauer in Recklinghausen noch über die Begegnung von Schell mit Marlene Dietrich, die damals abgeschlossen hinter zugezogenen Gardinen in Paris lebte. Schell machte einen beachtenswerten Dokumentarfilm  („Marlene“) über die Dietrich. Mit all den dazugehörigen Schwierigkeiten. Einmal, wird vorgelesen, wird Schell in Russland von der Münchner Abendzeitung angerufen und gefragt, ob er einen Nachruf über die Dietrich schreiben würde. Nachruf? Schell fand es zunächst einigermaßen deplatziert einen Nachruf über eine noch Lebende zu schreiben. Schließlich rief er Marlene Dietrich an und fragte sie, was sie davon hielte. Die fragte zurück: „Bezahlen die gut?“ Schell: „Ja, viel.“ Die Dietrich zurück: „Dann machen Sie es!“

Geplantes Filmprojekt

Der US-Filmemacher Lawrence David Foldes sprach in Recklinghausen (in Englisch) noch über geplantes Filmprojekt („Pre-School for the Next Dimension“) zusammen mit Maximilian Schell und über diesen in voller Bewunderung und mit großem Respekt.

Begegneten sich Beethoven und Napoleon?

Auch der Drehbuchautor Steffen Lerchner arbeitete ja mit Schell an einem Filmprojekt. Darin wird, obwohl freilich Historiker keinen Hinweis darauf haben, einmal vorausgesetzt Beethoven und Napoleon hätten sich getroffen. Immerhin, so Lerchner, war Napoleon in Wien. Möglich wäre es also gewesen. Wie immer – auch Festspielleiter Dr. Frank Hoffmann sprach davon – hatte auch betreffs dieses Filmpojektes Schell Vorschläge unterbreitet. So wollte er die Szene mit Napoleon und Beethoven in einem Wiener Bordell, das es wirklich gab, spielen lassen. Die Szene wurde von Wolfram Koch (Beethoven) und Ulrich Kuhlmann (Napoleon) gelesen. Köstlich!

Schell noch einmal grandios im Film  „Die Räuber“

Last but not least flimmerten noch „Die Räuber“, ein von Frank Hoffmann inzenierter Film, mit Maximilian Schell und u.a. Wolfram Koch über die Leinwand. Auch da stellt – nun der alte Schell – noch einmal großartig unter Beweis, welch hohe Schauspielkunst er beherrschte. Die Mimik, der sprachliche Ausdruck – einfach genial. Wie einen solchen Künstler ersetzen?

Schlucken und schluchzen

Die zweistündige Hommage an Maximilian Schell neigte sich dem Ende. Immer wieder musste man, mussten hörbar viele im Saale, schlucken und schluchzen. Die Augen wurden desöfteren feucht. Taschentücher wurden aus Taschen genestelt. Keine Schande. Auch bei den Beteiligten auf der Bühne, Versenkung und Gedanken an den großen Schell.

Iva Mihanovic-Schell mit „Ave Maria“

Nun rollten die Tränen erst recht: Maximilian Schells Frau Iva Mihanovic-Schell sang hellen Klanges, abermals einfühlsam von Rainer Klaas am Flügel begleitet, Schuberts „Ave Maria“ …

Beifall gen Bühnenhimmel

Ein Riesenapplaus am Ende. Stehende Ovationen für die Leistungen eines großen Künstlers und für die Mitwirkenden dieser gelungenen Hommage (Einrichtung: Frank Hoffmann, Mitarbeit: Andreas Wagner; Assistenz: Ceyda Söyler). Tränen drücken, kullern über Zuschauerwangen. Nein, das ist nicht einer sentimental verkitschten Inszenierung geschuldet. Es ist der Ausdruck einer großen Verehrung eines facettenreichen Künstlers, für die sich niemand schämen muss.  Es war das Wissen und die tief im Herzen empfundene Trauer – auf der Bühne und im Publikum – darüber, einen wirklich ganz Großen verloren zu haben. Über den heute vormittag in Recklinghausen noch einmal schmerzhaft fühlbar gewordenen Verlust des Menschen Maximilian Schell. Der Anfang des Jahres von der Weltbühne abberufen – nun woanders? besetzten – Künstlers. Ob Schell – anderswo, nun in anderer Rolle – den tosenden Applaus zum Ende hin wohl hörte? Der Schauspieler Wolfram Koch schien daran zu glauben: Applaudierend erhob er die Arme und blickte gen Bühnenhimmel. Und manch Zuschauer tat es dem Mimen nach.

Immer wenn etwas Schönes passiert, geschieht bald wieder auch etwas Schlimmes

Danach ging es für mich vorbei an vom letzten Sturm gefällten Bäumen, einen von einem schweren Ast zertrümmerten Pkw, durch eine Allee in Recklinghausen zur Busstation. Der Hauptbahnhof arbeitet seit dem Unwetter noch nicht wieder. Die Ruhrfestspiele enden heute mit einem Konzert vorm Rathaus von Recklinghausen. Dennoch: ein schöner Tag in Recklinghausen. Auch wenn Tränen der Rührung tropften. Wie hieß es doch eben noch in von Schauspielern vorgetragenen Zeilen aus Schells Autobiographie: Immer wenn etwas Schönes geschieht, passiert auch bald wieder auch etwas Schlimmes …

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